23.11.23
Wie Christopher Gilb, Wirtschaftsredaktor des Tagesanzeigers, die zwei Tage unter Nudisten verbrachte. Denke eine guter Artikel.
Link zum Artikel: Selbstversuch im Nacktsein
Tagesanzeiger, Publiziert: 09.09.2023, 21:51
Wie ich zwei Tage auf einem FKK-Campingplatz verbrachte
Unser Autor hat Ferien unter Nackten gemacht – wie es ihm dabei erging.
Der Campingplatz in der kroatischen Region Istrien ist alles andere als klein. Er verfügt über einen eigenen Hafen, eine eigene Wasserrutsche, mehrere Restaurants und einen ewig langen Strand und – alle: sind nackt. Sie radeln nackt, fahren nackt auf dem Scooter, stehen nackt vor ihrem Wohnwagen am Grill und springen nackt ins Wasser, und dies in allen Altersklassen.
Es hat ein bisschen etwas von einer grossen Familie; ihre Eltern waren schon nackt, und sie machen es ebenso. Wer immer dachte, FKK gehöre der Vergangenheit an, wird hier eines Besseren belehrt.
Nackt im Auto ist nicht angenehm
Nun muss ich sagen: Nacktsein ist mir nicht fremd. Ich fahre seit jungen Jahren Ski, und der abendliche nackte Saunagang gehörte immer dazu. Als exzessiven Nackten würde ich mich trotzdem nicht bezeichnen. Ich schlafe gerne in Sporthosen, einfach, weil ich mich so wohler fühle, und wenn ich doch einmal nackt bin, überprüfe ich erst akkurat, ob wirklich jeder Vorhang geschlossen ist.
Trotzdem wollte ich es mal probieren, wie es ist, an einem Ort zu sein, wo sich – so dachte ich zumindest – das ganze Leben nackt abspielt: zwei Tage auf dem kroatischen FKK-Campingplatz. Zur Vorbereitung habe ich mir extra das Buch «Naked at Lunch: Ein Nacktforscher in der Welt der Nudisten» gekauft. Der Autor Mark Haskell Smith beschreibt darin auf amüsante Art und Weise, wie er mit Nackten eine Kreuzfahrt macht und mit Nackten wandert, beginnt aber gleich mit dem Wichtigsten: Wie wichtig es ist, die Sonnencreme in den neu nackten Regionen nicht zu vergessen. Entsprechend habe ich eine extra grosse Flasche eingepackt.
Doch Nacktsein hat auch seine Tücken. Das merke ich, als ich dem Drang nicht widerstehen kann, auch einmal nackt Auto zu fahren, quer über den Campingplatz. Es brennt höllisch, als ich mich auf den Sitz des Autos plumpsen lasse, das stundenlang in der Sonne stand. Nach dieser Erfahrung werde ich zur Sicherheit immer ein Handtuch einpacken; es muss einen Grund geben, wieso etwas Stoff das Leben in der Menschheitsgeschichte erträglicher gemacht hat.
Nackt ins Wasser ist ein Genuss
Andererseits hat das Nacktsein auch viele Vorteile. Nach der morgendlichen Dusche kann man einfach bleiben, wie man ist, und muss sich nicht mal abtrocknen. Und nach dem Sprung ins Wasser klebt keine feuchte Badehose am Körper.
Freilich kommt auch ein FKK-Camping nicht ganz ohne Stoff aus. Das Nacktsein, so stellt sich heraus, ist eher für die «wilden» Teile des Camps gemacht; im Supermarkt, an der Rezeption oder beim Nachtessen werden Textilien getragen. Irgendwo muss das schöne Abendkleid für die Sommerferien ja mal zum Einsatz kommen.
Ich muss sagen, ich fühle mich überraschend frei.
Trotzdem, über den Tag ist man meist nackt. Und wer sich im Vorfeld Sorgen wegen – eigener oder fremder – Blicke macht, sei beruhigt: Bei so viel Nacktheit fällt der einzelne Körper sehr bald gar nicht mehr auf.
Mit der Zeit kommt es mir vor, als wäre jeder bekleidet, nur eben mit der neusten «Nacktkollektion». Ich muss sagen, ich fühle mich überraschend frei. Und als ich nach den Tagen auf dem Campingplatz wieder an einem normalen Strand ins Meer springe, habe ich plötzlich das seltsame Gefühl, als hätte ich etwas an, das ich gar nicht brauche.
Christopher Gilb ist seit Juli 2023 Wirtschaftsredaktor bei Tamedia. Schwerpunktmässig beschäftigt er sich mit den Themen Tourismus, Reisen und Gastronomie, Immobilien sowie Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen. Zuvor war er unter anderem während mehrerer Jahre für die «Luzerner Zeitung» tätig. 2021 wurde er für eine seiner Recherchen mit dem Zürcher Journalistenpreis ausgezeichnet.