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Ein toller Einblick in die Welt der Saunagänger/Saunagängerinnen und wie das Nacktsein zu ganz speziellen Erfahrungen im Leben führt.
Ein Plädoyer für das Nacktsein und das vor allem in der Sauna. Wenn die Hüllen fallen, entstehen ganz andere Gespräche.
In einer Hütte tief im schneebedeckten Wald treffen sich Frauen aller Altersgruppen und Gesellschaftsschichten zum gemeinsamen Saunieren. Mit den Hüllen fallen Tabus. Sanfte Stimmen flüstern unausgesprochene Ängste und leidvolle Erkenntnisse in das schützende Dunkel der dampferfüllten Sauna. Aufgefangen vom leisen Zuhören ihrer Gefährtinnen berichten die Frauen von ersten Liebschaften, aber auch von sexuellen Übergriffen und unerträglichen Geburtsschmerzen. Dieses transformative Ritual begleitet Filmemacherin Anna Hints in SMOKE SAUNA SISTERHOOD. Der in seiner Intimität fast mystische Dokumentarfilm zeigt Frauen nicht, wie sie sind, sondern in ihrem Werden, erzählt von jenen Veränderungen, die sich in das Leben und den Körper einer Frau einschreiben. Dank tiefer Empathie und Menschlichkeit gelingt ein ungeschönter und dennoch immer extrem fokussierter Blick ins Innere der Rauchsaunen – einer Tradition, die von der UNESCO zum immateriellen Kulturerbe der Menschheit erklärt wurde.
Mit authentischer Stimme verwebt der Film weibliche Schmerz- und Lebenserfahrung mit einer Schutzschicht aus Materialien der Natur: Holz, Hitze und Birkenzweige sind die Koordinaten in diesem archaisch-zauberhaften Film, der genießerisch dabei zuschaut, wie Gemeinschaft entstehen kann, solange nur ein gemeinsamer Raum zur Verfügung steht. SMOKE SAUNA SISTERHOOD erinnert in seiner Optik an klassische Vermeer- oder Rembrandt-Gemälde und macht die heilende Wirkung femininer Solidarität spürbar. Auf dem Sundance Film Festival wurde Anna Hints mit dem Preis für die Beste Regie in der Reihe „World Cinema Documentary“ ausgezeichnet.
Link zum Trailer: Smoke Sauna Sisterhood
In dieser Sauna fallen nicht nur die Hüllen, sondern auch Tabus
In «Smoke Sauna Sisterhood» kehren nackte Frauen beim Schwitzen in der Sauna ihr Innerstes nach aussen. Kein Zweifel: Das Private ist politisch.
Die Ästhetik ist durchdacht, aber gewöhnungsbedürftig: Weibliche Körperteile in Grossaufnahme dominieren das Bild – Schultern, Zehen, immer wieder Brüste – warm ausgeleuchtet, weil in der dunklen Sauna tatsächlich ein glühender Holzofen die wichtigste Lichtquelle ist. Ein Hauch von Caravaggio.
In «Smoke Sauna Sisterhood» wird die Sauna zum schwülen Safe Space.
Die Gesichter der sprechenden Frauen sieht man zwischen den Rauchschwaden fast nie – bis auf eine Ausnahme: Eine Frau ist – es handelt sich um einen Kunstgriff – als Betreiberin in der Sauna dauernd präsent und ganzkörperlich erkennbar.
Verwischte Identitäten
Diese Bildsprache ist expressiv, bisweilen fast abstrakt. Wem gehört welcher Körperteil? Welche Stimme? Das bleibt gewollt im Unklaren. Im fertigen Film sind gemäss Anna Hints, die sowohl das Konzept erarbeitet, als auch Regie geführt hat, rund 25 Frauen zu sehen und zu hören. Teilgenommen an den Aufnahmen hätten aber noch viel mehr.
Auch was die Frauen erzählen, erzählen sie aus eigenem Antrieb, ohne Script. «Es gab strenge Regeln beim Dreh», sagt Regisseurin Anna Hints. «Eine davon lautete: Niemand wird überredet. Es macht nur mit, wer wirklich will.»
Eine Tradition, modern gelebt
Der Besuch einer Rauchsauna – es handelt sich um Hütten in der freien Natur – sei in der estnischen Heimat mit Ritualen verbunden, sagt Hints. Man gehe dorthin, weil man Sorgen ablegen oder überwinden will, oder erfahrenes Unrecht verdauen. Das Ausharren in der Hitze diene konkret dazu, sich seelisch zu reinigen.
Mitten im Wald steht eine kleine Holzhütte. In, vor und neben der Hütte stehen mehrere nackte Frauen.
Anna Hints intimer Dokumentarfilm ist ein starkes Plädoyer für die heilende Wirkung weiblicher Solidarität.
Ausgehend von dieser Tradition bat Hints ihre Protagonistinnen, vor der Kamera ohne falsche Scham über Intimstes zu sprechen. Und das geht dann – zumindest im Film – ziemlich schnell. Eine Stimme sagt: «Meine Eltern hätten lieber einen Jungen gehabt, wie die meisten Eltern. Jemanden, der arbeitet, und nicht jemanden, für den man eine Mitgift aufbringen muss.»
Geteiltes Leid
«Meine Mutter gab mir zu verstehen, dass sie mich nicht attraktiv fand», sagt eine Stimme. Eine andere erzählt von ihrem Coming-out als Lesbe, und davon, wie schlecht das beim Vater ankam.
Die Stimmung bei diesen Gesprächen und Erzählungen ist aber nicht angespannt, sondern gelöst: Von den Frauen im Raum kommen beistimmende Geräusche, bisweilen befreiendes Gelächter. Manchmal eine tröstende Hand.
Eine Frau in einem Eisbad. Sie hält sich an einer Leiter fest, eine andere Frau hält ihre Hand.
Die Frauen im Film wagen den Sprung ins kalte Wasser und geben Intimes preis. Die Saunatradition ist tief in der estnischen Kultur verankert und geht bis ins 13. Jahrhundert zurück.
Auch Anna Hints selbst ist im Interview schonungslos offen: «Ich verstehe mich als non-binäre Person.» Das fällt in einem Nebensatz. «Der männliche Blick – dieser in der Filmwissenschaft oft zitierte ‹Male Gaze› – das geht für mich weit über die Geschlechter hinaus, es ist ein sexualisierender, ausbeuterischer Blick. Genau das, was ich vermeiden wollte.»
Sich schön finden
Von der Ästhetik kommt Hints auf die Botschaft von «Smoke Sauna Sisterhood» zu sprechen: «Die Frauen erzählen in der Sauna viel von Body Shaming, ich antworte mit meinen Bildern mit Body Positivity.»
Den eigenen Körper akzeptieren, andere Körper akzeptieren: Das lässt sich mit sorgfältig eingesetzten Filmkameras fördern. Dieser kleine, intime Film mit seinem grossen politischen Programm lebt das mustergültig vor.
Kinostart: 11.01.2024
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